Wie es sich für viele andere Schlösser europäischer Adelsfamilien gehört, hat auch Schloss Varenholz an der Weser in der Gemeinde Kalletal eine Weiße Frau als Schlossgespenst und das wird auch gehörig auf allen touristischen Seiten verbreitet, mit nahezu gleichem Wortlaut. Aber wer ist nun diese Dame?
Wikipedia schreibt, sie sei ein gutmütiger Geist, der hauptsächlich schwangeren Frauen in Vollmondnächten erschienen sein soll. Aus Urkunden sei bekannt, dass es „seinerzeit“ eine Hofdame mit Namen Katharina Gerstein auf dem Schloss gegeben habe, die 10 Kinder hatte und schön war. Wann genau ist denn seinerzeit?? Also… als sie das erste Mal auftauchte oder was? Na, jedenfalls sei ihr Mann aus politischen Gründen ins Exil gegangen und sie spurlos verschwunden. So weit – so gut, wir haben einen Namen. Die Lippische Landeszeitung weiß in einem Artikel über das dortige Internat („Hauch von Hogwarts“ und tatsächlich hat es aus der Ferne Ähnlichkeit mit seinen Türmen) auf die Geschichte von Katharina Droste hin, auch viele Kinder, auch verbannt – nur anderer Nachname. Und sie soll seit 200 Jahren spuken.
In dem Buch „Leben am Fluss – Chronik von Veltheim“ (das liegt gegenüber auf der anderen Weserseite) wird eine spukende lippische Fürstin erwähnt, verstoßen wegen Untreue und die nachts mit schweren Ketten rasselnd über Stiegen und Treppen geht. Aha. Da ist wohl jemandem die Fantasie durchgegangen weil Geister müssen natürlich immer mit Ketten rasseln, so will es das Gesetz. Passt aber nicht so zu unserem Geist, der erst 200 Jahre alt sein soll. Also weiter…
Eine weitere Erwähnung gibt es wieder in der Lippischen Landeszeitung. Hier werden sogar zwei Varianten vorgestellt: 1. wegen der Steuer erzürnte Bürger überfallen eine zu einem Fest anreisende Adelige und ermordeten sie. Aus Rache treibe sie nun in diesem Prunkstück der Weserrenaissance ihr Unwesen. Das scheint auch für Geister reichlich unglaubwürdig zu sein. 2. Variante: sie ist die Gattin des zweiten Drosten, Verwalter auf Varenholz. Aha! Da taucht der Name wieder auf, der schon einmal genannt wurde. Allerdings gab es da wohl ein Mißverständnis, weil ein Drost in diesem Fall nicht Familienname sondern Berufsbezeichnung von Katharinas Mann ist, vergleichbar mit einem heutigen Landrat. Auch in diesem Artikel werden ihre vielen Kinder erwähnt mit dem zusätzlichen Fakt, einige davon seien vom lippischen Fürsten. Auch hier wurde man nach Minden verbannt.
Nach einiger Suche auf Ahnenforschungsseiten im Netz finden wir Katharina: Anna Katharina Konradine Meinders wird am 06.10.1669 in Halle Westfalen geboren. Ihr Ehemann ist Johann Daniel Gerstein aus dem Rheingau, der ab 1679 „Präzeptor und Ephorus“ von Friedrich Adolf zur Lippe wird, 1691 Oberamtmann in Varenholz und von 1705 – 1717 als Droste ernannt wird. Er soll später in Minden gelebt haben wo er am 16.09.1728 starb. Außerdem hatte er 10 Kinder, auf die auch heute noch bestehende Familienzweige zurückgehen. Katharina stirbt am 17.11.1734 (Krönung wäre es, ihr Grab zu finden)
Graf Friedrich Adolf zur Lippe war übrigens als typischer Vertreter der Barockzeit als verschwenderischer Regent bekannt, mit rauschenden Festen nach Art des französischen Sonnenkönigs, natürlich auf Kosten seiner Untertanen und in der Kasse herrschte nicht nur wegen immenser Bauprojekte ständig Ebbe. Interessant dabei: aus Oerlinghausen gibt es einen dokumentierten Vorfall, bei dem ein gewissenhafter Finanzverwalter auf einen Mißstand hinwies, der Graf darauf behauptete, der Vogt würde ihm Geld schulden und ihn ins Gefängnis werfen lies. Sollte an der Geschichte also etwas dran sein, dass Katharina ihr Mann Johann in Ungnade fiel, wird es vermutlich nicht sein Verschulden gewesen sein. Dass das Ableben des Grafen und Johann sein Ende als Drost des Schlosses zeitig dicht beieinander liegen, lässt vermuten, dass der Gute einfach in Rente ging und der Sohn des Grafen, Simon Heinrich Adolf zur Lippe (1720 sogar zum Fürsten erhoben aber erst sein übernächster Nachfolger konnte die Gebühr dafür begleichen) ernannte einen eigenen Verwalter.
Was ist nun mit Katharina? Wie viele Frauen der Geschichte findet man über sie nur Bruchstücke. Wenn es wirklich sie ist, die im Varenholzer Schloss den jetzt dort lebenden Schülern erscheint, dann bestimmt als guter Geist. Eine Verbannung ist doch eher unwahrscheinlich, Minden war Teil des Regierungsbezirkes, eine alte Fährmann Geschichte berichtet, dass der Schlossverwalter regelmäßig übersetzte um in Minden Geschäfte zu tätigen. Ich hoffe, sie hatte ein gutes Leben und hat einfach in Minden ihren Lebensabend verbracht und dabei noch viele ihrer Kinder um sich gehabt. Vielleicht erscheint sie darum auch schwangeren Frauen – sie wusste um die Sorgen und Nöte und möchte beistehen. Möge ihre Seele trotzdem Frieden haben.
Als Exschüler dieses Internates weiß ich von der Legende, dass das schöne Weib des unbekannten Schlossherren einst in einen Freiherren verliebt gewesen sei, ihr angetrauter Mann sie jedoch mit diesem Herren beim Liebesspiel ertappt habe. Der Freiherr wurde noch am Ort und vor dem noch warmen Bett kniend, vor den Augen der Dame vom Tragen seines Kopfes befreit und sie sogleich unter dem Folterkeller lebendig und mit dem toten Geliebten eingemauert. Man soll ihre verzweifelten Schreie aus dem dunklen Gefängnis noch heute hören, sie selbst auf der Suche nach ihrem Liebsten durch die Gänge streifen sehen. Zwei oder drei Fensterstürze aus der obersten Etage des Schlosses, auf der Schulseite, sollen auf ihr Konto gehen.
Ich habe sie in sieben Jahren (ex 1985) dort jedoch weder gehört oder gesehen, noch hat mir je ein Mitschüler von einer Sichtung berichtet. Erzieher Seidelmann zeigte mir besagtes Mauerwerk unter dem Beatkeller, tatsächlich tief unten im Fundament des Schlosses.